ADHS bei Erwachsenen: Übersehene Realität oder moderne Diagnose?

ADHS Erwachsenen

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gilt längst nicht mehr ausschließlich als „Kinderkrankheit“. Immer mehr Erwachsene erkennen, dass sie mit den typischen Symptomen kämpfen, die nicht nur das Privatleben, sondern auch den Berufsalltag erheblich beeinflussen können. Eine späte Diagnose kann jedoch sowohl Erleichterung als auch Herausforderungen mit sich bringen.


Was ist ADHS?

ADHS umfasst ein Spektrum von Verhaltensstörungen, die durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und in manchen Fällen motorische Hyperaktivität gekennzeichnet sind. Während früher angenommen wurde, dass ADHS hauptsächlich Kinder betrifft, zeigt aktuelle Forschung, dass etwa die Hälfte der Betroffenen ihre Symptome bis ins Erwachsenenalter beibehält [2]. Die Prävalenz liegt bei etwa 5% im Kindesalter und bei rund 2,5% bei Erwachsenen.

Symptome und ihre Unterschiede im Alter

Bei Kindern äußert sich ADHS oft durch unruhiges Verhalten, Zappelphilipp-Tendenzen und Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule. Erwachsene hingegen erleben häufiger eine innere Unruhe, Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation und eine erhöhte Impulsivität. Weitere Symptome können ein geringes Selbstwertgefühl, Stimmungsschwankungen und Probleme in sozialen Beziehungen sein [5].

Diagnosekriterien für Erwachsene

Die Diagnose von ADHS bei Erwachsenen orientiert sich an ähnlichen Kriterien wie bei Kindern, erfordert jedoch eine sorgfältige Bewertung der Lebensbereiche:

  1. Symptombeginn in der Kindheit: Rückblickende Analysen zeigen, dass die Symptome bereits in der Kindheit vorhanden waren.
  2. Mindestens sechs Anzeichen aus den Kernbereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität.
  3. Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen: Beruf, soziale Interaktionen und persönliches Wohlbefinden.
  4. Starke Beeinträchtigung des Berufs- und Soziallebens [6].

Zusätzlich können standardisierte Tests wie der WURS oder der HASE-Test die Diagnose unterstützen [8].

Ursachen und Risikofaktoren

Die Pathophysiologie von ADHS ist komplex und multifaktoriell. Eine zentrale Rolle spielt die Störung der dopaminergen Neurotransmission, beeinflusst durch genetische Polymorphismen von Dopamin-Transportern (DAT1) und Dopamin-D4-Rezeptoren (DRD4) [4]. Genetische Veranlagung ist der Hauptrisikofaktor, ergänzt durch Umweltfaktoren wie Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht und pränataler Konsum von Alkohol oder Nikotin.

Komorbiditäten: Das Eisbergphänomen

ADHS tritt häufig mit anderen psychischen Erkrankungen auf, darunter Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen und bipolare Störungen [7]. Diese Begleiterkrankungen können die Diagnosestellung erschweren und erfordern eine ganzheitliche Behandlungsstrategie.

Diagnoseherausforderungen

Trotz klar definierter Kriterien wird ADHS bei Erwachsenen oft spät diagnostiziert. Dies liegt an der Vielfalt der Symptome und der häufigen Verwechslung mit anderen psychischen Störungen. Eine umfassende Anamnese, einschließlich Gesprächen mit Familienmitgliedern und Bezugspersonen, ist entscheidend für eine korrekte Diagnose [5].

Therapeutische Ansätze

Die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen erfordert einen individuellen Ansatz, der sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Maßnahmen umfasst.

Medikamentöse Therapie – hier mehr dazu

Stimulanzien wie Methylphenidat (Concerta®, Medikinet®, Ritalin®) und Lisdexamfetamin (Elvanse®) sind die erste Wahl und erhöhen die Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt. Sie unterliegen jedoch dem Betäubungsmittelgesetz aufgrund ihres Missbrauchspotenzials. Eine sorgfältige Überwachung ist daher unerlässlich.

Nicht-stimulierende Medikamente wie Atomoxetin (Strattera®) und Guanfacin (Intuniv®) bieten Alternativen für Patienten, die Stimulanzien nicht vertragen oder missbrauchsgefährdet sind. Atomoxetin wirkt als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, während Guanfacin als α2A-Rezeptor-Agonist fungiert [4].

Nicht-medikamentöse Therapie

Neben der medikamentösen Behandlung spielen psychologische Maßnahmen eine zentrale Rolle:

  • Psychoedukation: Aufklärung über die Erkrankung und den Umgang damit.
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Verbesserung der Selbstorganisation, Emotionsregulation und Impulskontrolle.
  • Achtsamkeitstraining und körperbezogene Physiotherapie: Ergänzende Methoden zur Stressreduktion und Verbesserung der Konzentration.

Ein multimodaler Therapieansatz, der Pharmakotherapie und Psychotherapie kombiniert, ist besonders bei mittelschweren bis schweren Ausprägungen von ADHS effektiv [9].

Einfluss der sozialen Medien

Die zunehmende Präsenz von ADHS-Themen auf Plattformen wie TikTok führt zu einer breiteren öffentlichen Wahrnehmung. Während dies das Bewusstsein steigern kann, warnen Experten vor Fehlinformationen und Selbstdiagnosen durch medizinische Laien. Eine fundierte Aufklärung durch Fachkräfte bleibt unerlässlich.

Ernährung und ADHS

Aktuelle Forschungen in der Nutritional Psychiatry untersuchen den Einfluss von Ernährung und künstlichen Zusatzstoffen auf ADHS. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass bestimmte Farbstoffe das Risiko erhöhen könnten, jedoch fehlen bislang belastbare Studien zur konkreten Ernährungsempfehlung!

Fazit: Eine unterschätzte Herausforderung

ADHS im Erwachsenenalter wird oft übersehen oder missverstanden. Eine späte Diagnose kann jedoch lebensverändernd sein, da sie den Betroffenen ermöglicht, effektive Strategien zur Bewältigung ihrer Symptome zu entwickeln. Ein ganzheitlicher Therapieansatz, der sowohl medizinische als auch psychologische Maßnahmen umfasst, bietet die besten Chancen für eine erfolgreiche Bewältigung der Erkrankung.

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Quellen

  1. Neuy-Bartmann A. Willkommen in der Welt der ADHS. ADHS Deutschland e. V., 2024.
  2. Steffen A et al. Diagnoseprävalenz psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Versorgungsatlas-Bericht 2018.
  3. Ketzler A. ADHS-Selbstdiagnosen durch TikTok – sie sind „eher negativ“. WA.de, 2024.
  4. Geisslinger G et al. Mutschler. Arzneimittelwirkungen. 11. Auflage, 2020.
  5. Medical Park Chiemseeblick. Krankheitsbild ADHS bei Erwachsenen, 2024.
  6. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). ADHS bei Erwachsenen, 2024.
  7. Neurologische Praxis Wiesbaden. ADS/ADHS und Komorbiditäten, 2024.
  8. Testzentrale. Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene, 2024.
  9. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (DGKJP) et al. ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. S3-Leitlinie, 2024.
  10. Leopoldt D. Die Therapie der ADHS. DAZ 2021, Nr. 1.
  11. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Hyperaktivität und Zusatzstoffe – gibt es einen Zusammenhang? Stellungnahme Nr. 040/2007.

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