Neue Technik statt Ritalin: Australisches Start-up Neurode bekämpft ADHS mit Wearable

Weltweit sind mehr als 366 Millionen Erwachsene von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen, einer neurologischen Störung, die durch Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität und oft auch Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Trotz der hohen Prävalenzrate sind die Behandlungsmöglichkeiten bislang begrenzt. Neben verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Ritalin, dessen generischer Name Medikinet lautet, gibt es nur wenige Alternativen, die effektiv und verträglich sind. Verhaltenstherapien und Anpassungen im Lebensstil können zwar helfen, die Symptome zu lindern, doch nicht alle Betroffenen finden diese Ansätze praktikabel oder ausreichend wirksam.

Das australische Start-up Neurode hat eine vielversprechende neue Lösung entwickelt: ein innovatives Wearable, das als Stirnband getragen wird und darauf abzielt, ADHS-Symptome zu überwachen und zu mildern. Diese bahnbrechende Technologie nutzt fortschrittliche Lichttechnologie und sanfte elektrische Stimulation, um die Gehirnaktivität zu tracken und gezielt zu beeinflussen. Mit diesem Gerät möchte Neurode eine medikamentenfreie Alternative bieten, die einfach in den Alltag integriert werden kann und eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität von ADHS-Patienten ermöglicht.

Wie funktioniert das Neurode-Wearable?

So sieht das Neurode ADHS Stirnband aus

Das Neurode-Stirnband basiert auf der funktionalen Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS), einer nicht-invasiven Methode zur Messung der Gehirnaktivität. Durch die Aussendung von nahinfraroten Lichtwellen durch die Kopfhaut und den Schädel kann das Gerät den Sauerstoffgehalt im Gehirn überwachen. Aktive Hirnareale, die mehr Sauerstoff benötigen, absorbieren mehr Licht, was von den integrierten Sensoren des Stirnbands erfasst wird. Diese Technologie ermöglicht es, präzise Rückschlüsse auf die aktuelle Gehirnaktivität zu ziehen und somit die Bereiche zu identifizieren, die bei ADHS besonders betroffen sind.

Zusätzlich zur Überwachung der Gehirnaktivität stimuliert das Wearable den präfrontalen Kortex – einen Bereich des Gehirns, der für Funktionen wie Konzentration, Planung und Impulskontrolle verantwortlich ist. Durch sanfte Elektroreize werden die neuronalen Netzwerke in diesem Bereich aktiviert, was nachweislich zu einer Reduktion der ADHS-Symptome führen kann. Laut Neurode reicht bereits ein tägliches Tragen von 20 Minuten aus, um eine signifikante Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und eine Verringerung der Unruhe zu erzielen. Nutzer berichten von einem angenehmen, leichten Kitzeln während der Anwendung, während andere keinerlei Empfindungen wahrnehmen, was das Gerät komfortabel und unaufdringlich macht.

Gründerin Nathalie Gouailhardou: Eine persönliche Motivation

Die Vision hinter Neurode kommt von Nathalie Gouailhardou, die seit ihrem fünften Lebensjahr mit ADHS lebt. Trotz zahlreicher Behandlungen und Therapien haben herkömmliche Medikamente wie Ritalin ihr kaum geholfen. Die Nebenwirkungen, darunter Schlafstörungen und erhöhte Angstzustände, überwiegen bei ihr stets den potenziellen Nutzen der Medikation. Diese persönlichen Erfahrungen, kombiniert mit ihrer Arbeit im medizinischen Forschungslabor mit fNIRS-Geräten, führten zur Idee des Neurode-Stirnbands.

„Ich habe nie eine Behandlung gefunden, die meine Symptome wirklich adressiert, ohne mich gleichzeitig mit unerträglichen Nebenwirkungen zu belasten“, erklärt Gouailhardou gegenüber dem US-amerikanischen Onlinemedium TechCrunch. „Die Möglichkeit, meine eigene Erfahrung und mein Fachwissen zu nutzen, um eine Lösung zu entwickeln, die anderen hilft, war der entscheidende Antrieb für die Gründung von Neurode.“

Entwicklung und Technologie

Die Entwicklung des Neurode-Wearables begann in einem medizinischen Forschungslabor, wo Gouailhardou mit fNIRS-Geräten arbeitete. Diese Geräte sind mit Lichtquellen und Sensoren ausgestattet und werden ähnlich wie ein Stirnband auf dem Kopf getragen. Sie sind nicht invasiv und ermöglichen es Forschern, die Gehirnaktivität in Echtzeit zu überwachen, ohne den Alltag der Probanden erheblich zu beeinträchtigen.

„Die Nutzung von fNIRS-Technologie in einem tragbaren Gerät eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die Überwachung und Behandlung neurologischer Störungen“, erläutert Gouailhardou. „Durch die Integration von Lichttechnologie und Elektroreizen können wir nicht nur die Symptome von ADHS präzise verfolgen, sondern auch gezielt darauf einwirken, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen.“

Finanzierung und Marktstrategie

Neurode wurde im Jahr 2021 von Nathalie Gouailhardou und ihrem Freund sowie Mitgründer Damien Sofrevski gegründet. Im selben Jahr meldeten sie ein Patent für das innovative Stirnband an, was den Grundstein für die weitere Entwicklung und Kommerzialisierung des Produkts legte. Seit der Gründung konnte Neurode beeindruckende 3,5 Millionen Dollar an Investorengeldern einsammeln, hauptsächlich durch Investitionen von renommierten Risikokapitalgesellschaften wie Khosla Ventures.

Diese finanziellen Mittel werden derzeit in umfangreiche klinische Studien investiert, die die Wirksamkeit und Sicherheit des Wearables weiter belegen sollen. Derzeit befindet sich das Gerät in der geschlossenen Beta-Phase, in der ausgewählte Nutzer das Wearable testen und wertvolles Feedback zur Optimierung des Produkts liefern. Neurode strebt eine FDA-Zulassung an, um das Gerät offiziell in den USA vermarkten zu können. Ein konkreter Zeitplan für die Beantragung dieser Zulassung steht jedoch noch nicht fest.

Investoreninteresse und Marktpotenzial

Ein Mitarbeiter der Risikokapitalgesellschaft Khosla Ventures erklärte gegenüber TechCrunch: „Wir haben in Neurode investiert, weil die ADHS-Behandlung längst nach innovativen Ansätzen sucht. Ritalin wurde zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs entwickelt und entspricht nicht mehr den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Bedürfnissen der Patienten. Die Idee, ein Gerät für den Heimgebrauch zu entwickeln, das einfach anzuwenden ist und ohne die Nebenwirkungen von Medikamenten auskommt, ist äußerst attraktiv.“

Das Marktpotenzial für Neurode ist enorm. ADHS betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene weltweit, was den adressierbaren Markt erheblich erweitert. Zudem bietet das Wearable eine flexible und benutzerfreundliche Lösung, die sich nahtlos in den Alltag integrieren lässt, was die Akzeptanz und langfristige Nutzung durch die Patienten fördert.

Elektrische Gehirnstimulation: Ein bewährter Ansatz mit Potenzial

Die Idee, elektrische Stimulation des Gehirns zur Behandlung von ADHS einzusetzen, ist nicht völlig neu. In Deutschland beispielsweise forscht die Arbeitsgruppe „Noninvasive Brain Stimulation Lab“ an der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen an der Entwicklung und Optimierung von Methoden zur nicht-invasiven Gehirnstimulation. Diese Ansätze haben sich bereits in der Behandlung anderer neurologischer Erkrankungen, wie Depressionen und chronischen Schmerzen, als wirksam erwiesen.

Dr. Andrea Antal, Leiterin der Forschungsgruppe, erläuterte gegenüber dem Online-Magazin heise online: „Nicht-invasive Gehirnstimulation wird seit Jahren eingesetzt, um die Symptome von Depressionspatienten oder Schmerzpatienten zu lindern. Unsere Studien zeigen, dass bei 70 bis 80 Prozent der Patienten eine deutliche Besserung eintritt. Auch bei ADHS sind wir zuversichtlich, dass diese Methode potenziell wirksam sein kann.“

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse wird die elektrische Stimulation des Gehirns derzeit jedoch nur selten eingesetzt. Einer der Hauptgründe sind die strengen regulatorischen Vorgaben, die den Einsatz solcher Therapien erschweren. Zudem werden diese Therapieformen häufig als Privatleistungen angesehen, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Nur in der stationären Behandlung wird die magnetische Gehirnstimulation teilweise von den Krankenkassen abgedeckt, während die elektrische Stimulation aufgrund der noch vergleichsweise geringen Studienlage und der damit verbundenen Unsicherheiten selten erstattet wird.

Internationale Perspektiven und Vergleich zu bestehenden Lösungen

In den USA wurde bereits 2019 ein ähnliches Gerät für den Heimgebrauch von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Dieses Gerät zielt darauf ab, ADHS-Symptome bei Kindern durch die sanfte elektrische Stimulation des Trigeminusnervs zu mindern. Die positive Resonanz und die Anerkennung durch die FDA unterstreichen das wachsende Interesse und das Vertrauen in elektrische Gehirnstimulation als effektive Behandlungsmethode für ADHS.

Neurode positioniert sich in diesem internationalen Kontext als Vorreiter, indem es ein umfassendes System anbietet, das sowohl die Überwachung der Gehirnaktivität als auch die gezielte Stimulation umfasst. Diese integrative Herangehensweise könnte dazu beitragen, die Behandlung von ADHS weiter zu revolutionieren und den Patienten eine effektive, medikamentenfreie Alternative zu bieten.

Herausforderungen und Zukunftsaussichten

Trotz der vielversprechenden Entwicklungen steht Neurode vor mehreren Herausforderungen. Die Erlangung der FDA-Zulassung ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der umfangreiche klinische Daten und Nachweise der Sicherheit und Wirksamkeit erfordert. Darüber hinaus müssen regulatorische Hürden in verschiedenen Märkten weltweit überwunden werden, um eine globale Markteinführung zu ermöglichen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Akzeptanz der Patienten. Obwohl das Wearable technisch ausgereift ist, muss sichergestellt werden, dass es benutzerfreundlich ist und den Alltag der Nutzer nicht übermäßig belastet. Hier spielt das Feedback aus der geschlossenen Beta-Phase eine entscheidende Rolle, um das Gerät weiter zu optimieren und an die Bedürfnisse der Anwender anzupassen.

Langfristig könnte Neurode jedoch eine bedeutende Rolle in der ADHS-Behandlung spielen. Durch die Kombination von Überwachung und gezielter Stimulation bietet das Wearable eine umfassende Lösung, die über die traditionellen medikamentösen Ansätze hinausgeht. Dies könnte insbesondere für Patienten attraktiv sein, die nach alternativen Behandlungsmethoden suchen oder aufgrund von Nebenwirkungen keine herkömmlichen Medikamente vertragen.

Gesellschaftliche Auswirkungen und Potenzial für weitere Anwendungen

Die Einführung von Neurode’s Wearable könnte weitreichende gesellschaftliche Auswirkungen haben. Eine effektive, medikamentenfreie Behandlungsmethode für ADHS könnte nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern, sondern auch die Produktivität und das allgemeine Wohlbefinden steigern. Dies wäre insbesondere in Bildungseinrichtungen und am Arbeitsplatz von Bedeutung, wo ADHS oft zu erheblichen Herausforderungen führen kann.

Darüber hinaus eröffnet die zugrundeliegende Technologie von Neurode Potenzial für weitere Anwendungen. Die Kombination aus fNIRS und elektrischer Stimulation könnte in Zukunft auch für die Behandlung anderer neurologischer und psychischer Störungen genutzt werden. Dies könnte einen bedeutenden Fortschritt in der personalisierten Medizin darstellen, bei der Therapien individuell auf die Bedürfnisse und die Gehirnaktivität der Patienten abgestimmt werden.

Fazit

Neurode’s innovatives Wearable stellt einen bedeutenden Schritt in der ADHS-Behandlung dar, indem es eine medikamentenfreie und benutzerfreundliche Alternative bietet. Durch die Integration fortschrittlicher Lichttechnologie und sanfter elektrischer Stimulation ermöglicht das Stirnband eine präzise Überwachung und gezielte Behandlung der ADHS-Symptome. Mit der Unterstützung durch bedeutende Investoren und einem klaren Fokus auf klinische Validierung hat Neurode das Potenzial, eine neue Ära in der Behandlung von ADHS einzuleiten.

Die Vision von Gründerin Nathalie Gouailhardou, die selbst von den begrenzten Behandlungsmöglichkeiten betroffen ist, wird mit jedem Schritt, den Neurode macht, greifbarer. Sollte das Unternehmen seine Ziele erreichen und die notwendigen Zulassungen erhalten, könnte das Wearable eine weit verbreitete Lösung für Millionen von ADHS-Patienten weltweit werden und einen nachhaltigen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie diese Störung behandelt wird.

(kst)

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